REZENSION DES SAMMELWERKS
“DAS ASYLRECHT IN EUROPA: PROBLEME UND PERSPEKTIVEN”
(IL DIRITTO DI ASILO IN EUROPA: PROBLEMI E PROSPETTIVE)
KONGRESSBEITRÄGE DES INTERNATIONALEN INSTITUTES
di FEDERICO COSTANTINI
(TRADUZIONE A CURA DI SABINE TREVISANI)
Der Begriff Verfolgung kennt unterschiedliche Auslegungen, die untereinander nicht immer kompatibel sind. Das Rückführungsverbot, welches zentrale Bedeutung unter den Vorteilen des Flüchtlingsstatus hat, entspringt dem völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht und kann somit als jus cogens nur in besonders schweren Fällen verbindlich werden . [20]
In den restlichen Fällen bleibt der Schutz der Flüchtlingskonvention, die Rechtsmittel vorsieht, welche der Vertragsstaat in seiner internen Rechtsordnung bereitzustellen hat . [21] Wird eine Person im eigenen Heimatland verfolgt, so kann sie in einem anderen Staat einen Antrag auf vorübergehenden oder dauerhaften Aufenthalt stellen . [22] Aus Sicht des modernen Völkerrechts berührt das Asylrecht, insbesondere die Rückbringung ,[23] einen sehr heiklen Teil in der Beziehung Staat-Ausländer: die öffentliche Ordnung . [24] Die Verleihung eines derartigen Schutzes von Seiten des Aufnahmestaates an einen Drittstaatsbürger ist seit jeher vom Herkunftsstaat nun schwierig akzeptiert worden. Des Öfteren hat sich die Befürchtung des Herkunftsstaates bewahrheitet, wonach die Aufnahme einen sicheren Schutz für Regimegegner bedeutet, die von Außen den Herkunftsstaat destabilisieren wollen. Aus diesem Grund haben sich diesbezügliche internationale Abkommen nur mühsam verbreitet, und man vermutet, dass aus demselben Grund die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte[25] das sog. politische Asyl garantiert. Eine Rechtsordnung ist nicht immer verpflichtet, Unterdrückte aufzunehmen, und Letztere können auch nicht einen effektiven Schutz als Recht beanspruchen. Das politische Asyl ist auch heute noch Ausdruck der Macht eines Staates und unterliegt somit seinem Ermessen . [26] Somit muss festgestellt werden, dass sich die Menschenrechte als ungeeignet erwiesen haben, das Versagen des modernen politischen Rationalismus zu überwinden. Die sorgfältige Wortwahl des humanitären Völkerrechts vermag den Ermessensspielraum des Staates nicht zu beschränken. Vielmehr begnügt es sich damit, juristische Bestimmungen und Verfahrensnormen in anerkannte Definitionen zu betten.
Folglich sind die Flüchtlinge – besonders die Dissidenten und Opponenten – zweimal der Staatsmacht ausgeliefert: einmal in den Verfolgungen oder Bedrohungen, denen sie im eigenen Staat schutzlos ausgeliefert waren, und zweitens in der Willkür des Aufnahmestaates .
[27] Schließlich muss man zugeben, dass jeder Staat große Wahlmöglichkeiten in diesem Rechtsbereich hat : [28] er kann zwischenstaatlichen Abkommen beitreten oder ihnen fern bleiben, Vorbehalte dazu formulieren oder die Bestimmungen der Abkommen in eine bestimmte Richtung interpretieren. Sollte dies alles unzureichend sein, so kann er diese Normen immer noch im Namen höherer Ideale, wie bspw. die Bekämpfung von internationalem Terrorismus, außer Kraft setzen . [29]
§.5.- DRITTES ARGUMENT: FLÜCHTLINGE UND ASYLWERBER IN EUROPA
Das europäische Asylrecht, zentrales Thema des gegenständlichen Sammelwerkes, wird hier sowohl auf seine positiven als auf seine negativen Aspekte hin untersucht. Es kann nicht geleugnet werden, dass einige wesentliche Fortschritte erreicht worden sind. Gleichzeitig besteht aber die Gefahr, dass die erreichten Fortschritte von rationalistischen Paradigmen unterdrückt werden. Der Sinn der Flüchtlingskonvention wurde weiter ausgeführt – zunächst vom Europarat und später von den Institutionen der Europäischen Union. Es scheint sinnvoll, vorerst die Bemühungen auf internationaler Ebene anzuführen, um in einem zweiten Moment das Auge auf den europäischen Diskurs zu richten.
Obwohl das Asylrecht keinen Eingang in die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 [30] fand, ist der Schutz von Verfolgungsopfern in anderen Abkommen von geringerer Wichtigkeit [31] enthalten. Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte widmet dem Recht auf Leben und dem Folterverbot[32] eine extensive Interpretation. Ein Staat, der Auslieferungen in ein Land zulässt, welches nicht Vertragspartei der Konvention ist und in dem die Prinzipien der Konvention verletzt werden, unterliegt Sanktionen. Einzelpersonen haben zwar Anrecht auf einen effektiven Schutz durch direkte Rechtsmittel , [33] und auch wenn derselbe Gerichtshof meint , [34] dass die Achtung der Konvention eine “absolute” [35] Verpflichtung sei, so kann nicht geleugnet werden, dass die Mitgliedstaaten Vorbehalte zu einzelnen Bestimmungen[36] formulieren oder gar von der Konvention zurücktreten können .[37] Man kann somit behaupten, dass dem Staat die volle Souveränität erhalten bleibt.
Die zunehmenden Beunruhigungen der europäischen Staaten haben erst in den vergangenen Jahren eine Antwort auf gemeinschaftlicher Ebene gefunden. Diese scheint jedoch nicht geeignet, die delikaten Probleme dieser Materie zu lösen.
Das Asylrecht fand im Vertrag von Rom[38] mit seinen rein wirtschaftlichen Absichten keine Beachtung. Erst als klar wurde, dass der Binnenmarkt und die Freizügigkeit ohne eine einheitliche Strategie zu den gemeinsamen Außengrenzen nicht zu verwirklichen ist, vermochte es die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers auf sich zu lenken . [39] Die ersten Initiativen zum Asylrecht wurden im Völkerrecht getätigt und breiteten sich dann sukzessive in den europäischen Rechtsraum aus. Zu Beginn der Neunziger traten große Teile des Alten Kontinentes dem Schengener Abkommen von 1985[40]
und dem Dubliner Abkommen von 1990 [41] bei. Kurz darauf, nach einer vorsichtigen Befassung in der Einheitlichen Europäischen Akte[42] , fand das Asylrecht Eingang in den Vertrag von Maastricht von 1992 [43] und schließlich – nach einer Reihe von Übergangsregelungen – [44] auch in den Vertrag von Lissabon von 2007[45] Hier widmen sich besonders Art. II-78 [46] der Materie, die einige Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union von 2000 [47] wiedergeben.
Die Vorgangsweise der Europäischen Union im Bereich des Asylrechts[48] läßt sich in zwei historische Phasen einteilen. Die erste Phase reichte vom Ratstreffen in Tampere 1999 [49] bis zum Haager Programm 2004[50] In Folge der Diskussion um die Ausweitung der Kompetenzen der EU und der Vereinfachung des legislativen Prozesses [51] einigte man sich in dieser ersten Phase auf eine Harmonisierung der Rechtsnormen der Mitgliedstaaten und der Festsetzung von gemeinschaftlichen Mindeststandards. Die Mindeststandards sollten mit vier Rechtsakten[52] verwirklicht werden: Verordnung 343/2003/EG, sog. Dublin II ; [53] Richtlinie 2003/9/EG, sog. Reception Conditions Directive ; [54] Richtlinie 2004/83/EG, sog. Qualification Directive[55] ; Richtlinie 2005/85/EG, sog. Asylum Procedures Directive . [56]
Die zweite und derzeitige Phase sieht den Aufbau eines Common European Asylum System [57] vor. Dieses einheitliche Asylsystem gründet auf zwei Säulen: ein einheitliches Asylverfahren und ein Status, der in allen Mitgliedstaten identisch ist . [58] Die Kongressbeiträge dieses Sammelwerkes bieten diesbezüglich einige formelle und inhaltliche Anmerkungen. Das Asylrecht, als neue europäische Kompetenz, wird auf seine Beziehung mit dem Völkerrecht und mit dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten hin diskutiert, sowie der Sinn des politischen Asyls im Rahmen der EU ergründet.
Einen offensichtlichen Kritikpunkt in formeller Hinsicht stellt der Umstand dar, dass die Europäische Union einen autonomen Bereich zwischen der völkerrechtlichen und der innerstaatlichen Rechtsordnung beanspruchen will. Trotz Verweise an die Vereinten Nationen und den Europarat, kommt die Legitimierung letztendlich doch von der Europäischen Union und wäre somit im Falle einer Abwendung von den völkerrechtlichen Abkommen nicht unbedingt gefährdet.
In Bezug auf die Mitgliedstaaten ist hingegen anzuführen, dass trotz der Einführung einheitlicher Normen die Kompetenz der Staaten nicht beeinträchtigt wird: jeder Mitgliedstaat behält die Entscheidung über die in seinem Land eingebrachten Asylanträge, und einzig ihm bleibt somit die direkte Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten. Des Weiteren ist das gesamte System der Billigung der nationalen Regierung unterworfen, die jederzeit entscheiden kann, ob überhaupt und in welcher Zeitspanne sie die europäischen Normen umsetzen möchte .
[59] Dieser Konflikt mit dem Souveränitätsprinzip bewirkt einige negative Folgen, die nicht zu unterschätzen sind. Eine derart delikate Materie lässt sich nicht einheitlich auf das europäische System übertragen, und dies kann zu einem Bruch innerhalb der Europäischen Union führen. Doch auch dort, wo die europäischen Normen in Kraft sind, wirkt sich die unterschiedliche Handhabung von Seiten der Behörden aus[60] – was wiederum zur Sekundärmigration [61] führt. Die Verfahrensnormen bewirken nicht die gegenseitige Anerkennung der Entscheidungen. Vielmehr besteht zwischen den Mitgliedstaaten wenig Vertrauen . [62] Ein Beispiel hierfür bietet die Entscheidung des oberen Gerichtshofes des Vereinigten Königreichs, welcher Frankreich und Deutschland als “nicht sichere Länder” im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention deklariert hat, obwohl diese der Flüchtlingskonvention beigetreten sind und denselben europarechtlichen Normen unterliegen . [63] Zusammenfassend kann man sagen, dass für die Referenten das europäische Asylrecht zwar bestens strukturiert ist, um sich erfolgreich über das Völkerrecht zu stellen, aber nicht ausreicht – und hier liegt seine große Schwierigkeit –, um die Souveränität der einzelnen Staaten zu überwinden . [64] Die Entwicklung des europäischen Asylrechts zeigt, dass die Europäische Union erst seit kurzem eine Langzeitstrategie verfolgt. Die Vereinheitlichung der Verfahren und der Schutzmechanismen sind erst dann wirksam, wenn sie mit anderen Initiativen der Außenpolitik und der Einwanderungspolitik verbunden werden . [65] Die Europäische Union hat vor nicht allzu geraumer Zeit Kooperationen mit den angrenzenden Ländern in die Wege geleitet, besonders mit jenen des Mittelmeerraums und Afrikas[66] Damit soll die Aufnahme von Asylwerbern ausgelagert sowie ein Auswahlverfahren noch außerhalb des Hoheitsgebietes der Europäischen Union [67] vorgenommen werden. Dabei besteht aber die Gefahr, dass das politische Asyl an geopolitische Vorteile geknüpft wird und zur diplomatischen “Tauschware” [68] verkommen könnte.
Um den Schwierigkeiten bei der Umsetzung der europarechtlichen Normen in die Rechtsordnungen der verschiedenen “Sozialstaaten” entgegenzuwirken, hat die Europäische Union einen komplexen governance-Mechanismus [69] eingeführt. So riskiert das Asylrecht aber, seine Autonomie und Abgrenzung von der allgemeinen Einwanderung zu verlieren. Außerdem besteht die Gefahr, dass solidarische Erwägungen den Notwendigkeiten der öffentlichen Ordnung[70]
weichen und die Konflikte auf europäischer Ebene[71] und innerhalb der Staaten[72] ansteigen.
Durch die Eingliederung des Asylrechts ins Europarecht wird es auch der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes [73] unterzogen. Diese stellt eine weitere Garantie neben dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dar, sowohl was der angekündigte Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Erklärung der Menschenrechte [74] betrifft als auch hinsichtlich der Bedeutung der “rechtlichen Verbindlichkeit” [75] der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
Und dennoch – trotz aller Bemühungen um eine Loslösung vom modernen politischen Rationalismus – wird die Europäische Union, Rechtsordnung der neuen Natur , [76] , vom Souveränitätsprinzip behindert: die Vorahnung dieser Schwierigkeit macht sie voreingenommen; will sie die staatlichen Rechtsordnungen ersetzen, so wird sie jedoch denselben Schwächen unterliegen .[77]